Bibelkreis 4.9.2002: Vom verlorenen Schaf, Mt 18,10-14

Mt 18,10-14

10 Seht zu, dass ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel. 12 Was meint ihr? Wenn ein Mensch hundert Schafe hätte und eins unter ihnen sich verirrte: lässt er nicht die neunundneunzig auf den Bergen, geht hin und sucht das verirrte? 13 Und wenn es geschieht, dass er’s findet, wahrlich, ich sage euch: Er freut sich über dieses eine mehr als über die neunundneunzig, die sich nicht verirrt haben. 14 So ist’s auch nicht der Wille bei eurem Vater im Himmel, dass auch nur eines von diesen Kleinen verloren werde.

Anmerkung: Vers 11 ist nur in späteren Überlieferungen enthalten und lautet: Denn der Menschensohn ist gekommen, selig zu machen, was verloren ist. (vgl. Lk 19,10).

Parallelstelle zu Mt 18,10-14: Lk 15,1-7

1 Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. 2 Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. 3 Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: 4 Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er’s findet? 5 Und wenn er’s gefunden hat, so legt er sich’s auf die Schultern voller Freude. 6 Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. 7 Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Fragen zu Mt 18,10-14

  • Handelt es sich bei Vers 10 um ein Bild? Wenn ja, für was steht das Bild?

  • Wie ist Vers 10 zu verstehen? Und inwiefern ist der zweite Satz eine Begründung für den ersten Satz?

  • Wer sind die Kleinen?

  • Was ist mit ,,Ihre Engel” gemeint? Schutzengel?

  • Für was steht das ,,Angesicht meines Vaters”?

  • Wer sind die Adressaten des Abschnitts? Wer in Lk 15,1-7?

  • Handelt es sich bei dem Abschnitt um einen hypothetischen Fall oder um ein Gleichnis?

  • Was sind Stellen des Alten Testaments, wo von dem Angesicht Gottes die Rede ist?

  • Warum ,,auf den Bergen”? (Vgl. Lk 15,4: ,,Wüste”.)

  • Lies Lk 15,1-7! Was sind die Unterschiede zu Mt 18,10-14? Was wäre eine Erklärung für diese Unterschiede?

  • Warum sagt sich der Mensch nicht: ,,Ich habe 99, was juckt mich das eine Schaf?”?

Gedanken zu Mt 18,10-14

Mit den Kleinen könnte Jesus mehrere Gruppen meinen, etwa Kinder (Mt 18,1-5), Menschen, die gesellschaftlich gering angesehen werden, oder Kleingläubige, also Menschen, die im Glauben schwach sind. Im Kontext, Mt 18,6, wird gesagt, dass einer dieser Kleinen an Jesus glaubt, daher wird Jesus wohl damit Menschen meinen, die einen kleinen oder schwachen Glauben haben. Wenn dem so ist, dann handelt Mt 18,10-14 von Kleinen im Glauben, die sich verirren.

Interessant ist, wie mich ein Kommentar aufmerksam gemacht hat, dass Lk 15,1-7 im Unterschied zu Mt 18,10-14 von einem Sünder spricht, also wohl einem Ungläubigen, der verloren ist. Mt 18 spricht dann von Gläubigen und Lk 15 von Ungläubigen. Der Unterschied wird auch durch die Wörter verirrt in Mt und verloren in Lk deutlich. Man kann auch als Gläubiger verirrt sein, wie es z.B. auch die Jünger in Mt 18,1-5 waren, wo Jesus zu ihnen sagt: ,,Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.Die Jünger waren mit ihrer Frage danach, wer der Größte im Himmelreich sei, und dem damit verbundenen Denken vom richtigen Weg abgekommen und hatten sich verirrt.

Noch eine kurze Nebenbemerkung zu den Worten Jesu in Mt 18,3: Jesus sagt zu den Jüngern, dass wenn sie nicht Buße tun und wie die Kinder werden, also unter anderem sich selbst erniedrigen, dann werden sie nicht errettet sein. Dieser Text belegt, wie das auch andere Texte tun, z.B. Hes 18 und 33, dass auch Gläubige, wie es im Text die Jünger ja sind, ihr Heil verlieren können, wenn sie vom Glauben abfallen und nicht umkehren.

In Lk 15,1-7 nahen Jesus Zöllner und Sünder, was die Pharisäer und Schriftgelehrten dann murrend kommentieren. Jesus spricht dann zu ihnen das Gleichnis vom verlorenen Schaf. Mit ,,zu ihnen” kann nun entweder alle oder die Zöllner und Sünder oder nur die Pharisäer und Schriftgelehrten gemeint sein. Jesus könnte somit auch direkt das Gleichnis auf seine Zuhörerschaft der Pharisäer und Schriftgelehrten zugeschnitten haben, aber wahrscheinlich richtete sich Jesus an alle seine Zuhörer. Jedenfalls haben wir unterschiedliche Zuhörer, in Mt die Jünger und in Lk wohl die Zöllner, Sünder, Pharisäer und Schriftgelehrten. Jesus hat sehr wahrscheinlich das Gleichnis oder den Fall des verlorenen Schafes mehrfach erzählt, womit sich die Unterschiede in den Evangelien gut erklären lassen. Die Abweichungen in der Rede Jesu lassen sich gut mit der unterschiedlichen Zuhörerschaft erklären.


In Mt 18,10 heißt es: ,,Seht zu, dass ihr nicht einen von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel.” Wie ist dieser Vers zu verstehen? Und inwiefern ist der zweite Satz eine Begründung für den ersten Satz? Im Hebräerbrief 1,13-14 heißt es: ,,Zu welchem Engel aber hat er jemals gesagt (Psalm 110,1): »Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel unter deine Füße lege«? Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit?” Diese Frage scheint zu suggerieren, dass die Engel dienstbare Geister sind, die ausgesandt werden, um den Gläubigen zu dienen. Jedenfalls finden wir mehrere Stellen in der Bibel, wo Engel den Menschen helfen und dienen, z.B. Dan 3 und 6. ,,Ihre Engel” beschreibt wohl die Zugehörigkeit der Engel zu den Kleinen, also sind das wahrscheinlich die Engel, die den Kleinen im Glauben dienen.

Hier ist eine Auslegung: Jesus meint hier anscheinend, dass die Engel, die den Kleinen dienen, beständig vor Gott stehen und so dem Höchsten und Mächtigsten berichten können, wie es den Kleinen ergeht. Wenn die Kleinen also verachtet oder misshandelt werden, weiß Gott davon Bescheid und wird seinem vollkommenem Wesen gemäß darauf reagieren. Das kann auch Strafe für die Verachtenden bedeuten. Diese Auslegung würde erklären, warum der zweite Teil des Verses eine Begründung ist: Verachte die Kleinen nicht, weil Gott die Kleinen wichtig sind und Gott ihnen Gerechtigkeit schafft und dich dafür zurechtweisen kann, wenn du sie verachtest. Die Kleinen zu verachten bedeutet sich selbst hochmütig zu erhöhen. Die Bibel spricht sich gegen den Hochmut der Menschen aus. Es heißt ja in 1. Kor 10,12 ,,Darum, wer meint, er stehe, soll zusehen, dass er nicht falle.” und in Spr 16,18 ,,Wer zugrunde gehen soll, der wird zuvor stolz; und Hochmut kommt vor dem Fall.” und in Hebr 10,30-31 ,,Denn wir kennen den, der gesagt hat (5. Mose 32,35–36): »Die Rache ist mein, ich will vergelten«, und wiederum: »Der Herr wird sein Volk richten.« Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.”

Wir haben uns weiter gefragt, ob es sich bei Mt 18,10-14 um ein Gleichnis handelt. Bei dem Paralleltext in Lk 15,1-7 steht direkt da, dass es ein Gleichnis ist. In Mt 18,10-14 beginnt Jesus seine Beschreibungen mit dem konditionalen ,,Wenn” in Vers 12 und 13. Jesus scheint damit einen Fall zu beschreiben, der so möglich sein könnte, und er scheint so damit nicht eine imaginären Geschichte zu erzählen, die eine wichtige Lehre zu vermitteln sucht.

Es geht bei der Erzählung vom verlorenen Schaf nach meinem Verständnis um die Bedeutung, die Gott seinen Kindern mit schwachen Glauben beimisst. Jesus fasst die Lehre in Mt 18,14 zusammen: ,,So ist’s auch nicht der Wille bei eurem Vater im Himmel, dass auch nur eines von diesen Kleinen verloren werde.” In 1. Timotheus 2,3–4 heißt es: ,,Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.” Gott will, dass alle Menschen gerettet werden. Gott will, dass die Verirrten zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Die Freude über das eine verirrte Kind, das gefunden wird und so zu der richtigen Theologie und Lebensweise zurückfindet, ist größer als die Freude Gottes über die vielen Gerechten, die sich nicht verirrt haben. Gott geht dem verirrten Kind nach. Gott ist das verirrte Kind so wichtig, dass er diesem seine besondere Aufmerksamkeit schenkt. Die Freude ist groß, wenn ein schlechter Lebensstil und schlechte Theologie abgelegt werden, und das Kind wieder in der Wahrheit steht.

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