Abtreibung und das Recht auf Leben (1/5)

In diesem Beitrag und den folgenden vier Beiträgen möchte ich die wesentlichen Teile meiner Masterarbeit zum Thema Abtreibung und das Recht auf Leben teilen.

Inhalt

I. Prolog

II. Grundlagen zum Thema Abtreibung

A. Überblick der menschlichen Entwicklung

B. Abtreibung

1. Definition der Abtreibung und Rechtslage in Deutschland

2. Methoden der Abtreibung

3. Sonderfälle der Abtreibung          

     C. Drei Positionen zur Abtreibung          

1. Die liberale Position          

2. Die konservative Position          

3. Die Position des Bundesverfassungsgerichts          

III. Zwei Argumente gegen Abtreibung          

     A. Das Tötungsverbot-Argument          

1. Eine kurze Rechtfertigung des Tötungsverbot-Arguments          

2. Diskussion der Einwände          

2.1 Ein kurzer Einwand: Das ungeborene Kind ist kein Mensch          

2.2 Peter Singers Einwand mit dem Begriff ,,Mensch“          

2.2.1 Entgegnung mit dem Sprachgebrauch auf Singers ersten Teil seines Einwands

2.2.2 Entgegnung mit der Rechtfertigung der ersten Prämisse auf Singers zweiten Teil seines Einwands          

2.2.3 Francis J. Beckwiths vier Entgegnungen auf Singers Argumentation und auf weitere Vertreter der Position mit den Kriterien des Personseins           

     B. Das Menschenwürde-Argument          

1. Eine kurze Rechtfertigung des Menschenwürde-Arguments          

2. Diskussion der Einwände          

2.1 Reinhard Merkels Einwand mit dem Sein-Sollen-Fehlschluss          

                     2.1.1 Merkels Einwand          

                     2.1.2 Entgegnung auf Merkels Einwand          

                     2.1.3 Der Begriff ,,Embryo“ und der Beginn des Menschseins          

                     2.1.4 Ein besseres Verständnis des Speziesarguments          

2.2 Ein erneuter Einwand mit der Grundlage der Menschenwürde          

2.2.1 Die Grundlage der Menschenwürde          

2.3 Der Sein-Sollen-Fehlschluss bei liberalen Positionen          

IV. Epilog          

V. Bibliographie

         

I. Prolog

Das Thema Abtreibung ist kontrovers. Das zeigt sich besonders deutlich dort, wo sich Abtreibungsbefürworter(1) und Abtreibungsgegner direkt begegnen, sei es etwa bei politischen Diskussionen, Protestaktionen an Universitäten, den sogenannten Märschen für das Leben oder den Reaktionen auf die Entscheidung des obersten Gerichts der USA zu Roe v. Wade am 24. Juni 2022. Das Thema Abtreibung ist emotional geladen. Auf der einen Seite sehen sich Abtreibungsbefürworter als Kämpfer für Freiheit und die Rechte der Frauen, welche die Abtreibungsgegner aus ihrer Sicht als Unterdrücker einschränken wollen. Zudem kommen starke Emotionen derer, die selbst abgetrieben haben, oder Menschen kennen, die abgetrieben haben. Auf der anderen Seite entsetzen sich Abtreibungsgegner über die brutale Praxis der Abtreibung und über das gewissenlose, menschenverachtende Töten menschlichen Lebens der Abtreibenden. Der moralische Status des ungeborenen Kindes steht im Zentrum des Konflikts. Für die Abtreibungsbefürworter hat das ungeborene Kind zum Zeitpunkt der Abtreibung keinen moralischen Status und darf so getötet werden. Für die Abtreibungsgegner hat das ungeborene Kind ab der Befruchtung vollen moralischen Status, wie eben andere Menschen auch, und darf so nicht getötet werden.

In dieser Masterarbeit will ich eine Position der Abtreibungsgegner vertreten und so dafür argumentieren, dass Abtreibung im Normalfall unmoralisch und daher zu unterlassen ist. Um diese Position stark zu machen, will ich im folgenden II. Teil der Masterarbeit wichtige Grundlagen zum Thema Abtreibung klären. Im III. Teil der Masterarbeit will ich zwei Argumente gegen Abtreibung formulieren, das Tötungsverbot-Argument und das Menschenwürde-Argument. Für beide Argumente werde ich eine kurze Rechtfertigung geben und dann auf die wichtigsten Einwände gegen diese Argumente eingehen. Ich komme also nun zum II. Teil der Masterarbeit.

II. Grundlagen zum Thema Abtreibung

Im II. Teil der Masterarbeit möchte ich kurz auf die Grundlagen zum Thema Abtreibung eingehen, indem ich im ersten Teil A einen Überblick über die menschliche Entwicklung skizziere. Im zweiten Teil B gebe ich eine Definition der Abtreibung an, die ich kurz kommentiere. Es folgt die Rechtslage der Abtreibung in Deutschland. Weiter gehe ich auf die Methoden und Sonderfälle der Abtreibung ein. Im dritten Teil C fasse ich drei Positionen zur Abtreibung zusammen, nämlich die liberale und konservative Position sowie die Position des Bundesverfassungsgerichts. Ich komme nun zu dem Überblick der menschlichen Entwicklung.

A. Überblick der menschlichen Entwicklung

In der Embryologie ist es üblich die menschliche Entwicklung beginnend mit der Befruchtung in wöchentliche Abschnitte einzuteilen.(2) In diesem Überblick der menschlichen Entwicklung möchte ich analog dazu die menschliche Entwicklung in folgende wöchentliche Abschnitte einteilen: 1., 2. und 3. Woche, dann die 4. bis 8. Woche der Embryonalperiode und die 9. bis 38. Woche der Fetalperiode. In der ersten Woche beginnt die gesamte menschliche Entwicklung mit der Befruchtung, der Vereinigung einer männlichen Samenzelle mit einer weiblichen Eizelle in der Ampulle des Eileiters.(3) Die Ampulle ist die weiteste Stelle des Eileiters. Keith L. Moore schreibt in seinem Lehrbuch Grundlagen der medizinischen Embryologie über die Befruchtung:

,,Die Befruchtung ist eine Abfolge von Vorgängen (Abb. 1.1), die mit dem Kontakt eines

Spermiums (Spermatozoons) mit einer sekundären Oozyte (Ovum, Ei) beginnt und mit

der Fusion ihrer Pronuklei (den haploiden Kernen des Spermiums und des Eies) und der

Durchmischung ihrer Chromosomen endet, wobei eine neue Zelle gebildet wird (siehe Abb.

1.1D). Das befruchtete Ei, die Zygote (siehe Abb. 1.1E), ist eine große diploide Zelle. Sie

bildet den Anfang (Primordium) eines Menschen.”(4)

Es ist hier wichtig festzuhalten, dass aus wissenschaftlicher Sicht das Menschsein mit der Befruchtung beziehungsweise mit der Zygote, dem befruchteten Ei, beginnt. Die Zygote durchläuft nun in einem Zeitraum von ein bis vier Tagen den Eileiter bis hin zur Uterus, der Gebärmutter, während sich die Zellen des befruchteten Eies mehrfach teilen. Die geteilten Zellen bilden dann einen Hohlraum, die Blastozystenhöhle, mit deren Bildung ab etwa dem vierten Tag der Keim dann Blastozyste genannt wird.(5) Am fünften Tag vergrößert sich die Blastozyste und dringt dann gegen Ende des siebten Tages in die Gebärmutterschleimhaut ein, was den Anfang der Implantation, der Einnistung, darstellt.(6)

In der zweiten Woche findet der Abschluss der Implantation der Blastozyste statt, die zusammenfassend mit dem Aufbau eines primitiven uteroplazentaren Kreislaufes, der Bildung der Keimscheibe und des primären und sekundären Dottersackes verbunden ist.

In der dritten Woche beginnt sich die Keimscheibe auszubilden, was in einer sechswöchigen Periode in der Entstehung des Embryos mündet. Die Keimscheibe teilt sich in drei Keimblätter, aus denen sich im weiteren Verlauf die Gewebe und Organe des Embryos bilden. Ein primitiver Herzkreislauf entsteht und das Herz beginnt zu schlagen. Es bilden sich Ansätze des zentralen Nervensystems, des Skelettes und der Muskulatur.

In der vierten bis hin zur achten Woche werden alle wichtigen Anlagen der äußeren und inneren Strukturen gebildet. Die Hauptorgansysteme differenzieren sich aus. Der Embryo faltet sich aus der dreiblättrigen Keimscheibe von dem Dottersack ab und wird von der Erscheinung her zunehmend als Mensch erkennbar, wobei die Geschlechtsunterschiede noch nicht deutlich sind. Nach Vincent J. Collins, Professor für Anästhesiologie, kann der Embryo möglicherweise schon ab der achten Woche, sicher aber ab der dreizehnten und einer halben Woche, Schmerzen empfinden, da sich ab der achten Woche die notwendigen neurologischen Strukturen für ein Schmerzempfinden bilden.(7)

Die neunte bis achtunddreißigste Woche, die Fetalperiode, ist sowohl vom Wachstum des Körpers als auch vom Wachstum und der Ausdifferenzierung der Gewebe und der Organe gekennzeichnet, die in der Embryonalperiode angelegt wurden. Der im Verhältnis zum restlichen Körper große Kopf wird im Verhältnis kleiner.(8) So viel zum Überblick der menschlichen Entwicklung, ich komme nun zu dem abrupten Abbruch dieser menschlichen Entwicklung, der Abtreibung.

B. Abtreibung

1. Definition der Abtreibung und Rechtslage in Deutschland

Abtreibung ist der Abbruch einer Schwangerschaft mittels einer beabsichtigten Tötung und Entfernung eines ungeborenen Menschen(9) durch medikamentöse oder operative Maßnahmen.(10)

Auf die medikamentösen und operativen Maßnahmen werde ich weiter unten eingehen. Davor will ich noch kurz zwei Anmerkungen zu dieser Definition machen: Zum einen, wer abtreibt, tötet aktiv und absichtlich einen ungeborenen Menschen, der unter gewöhnlichen Umständen weiter leben würde, wenn er nicht abgetrieben worden wäre.

Zum anderen bricht eine Abtreibung den natürlichen Entwicklungsprozess der Schwangerschaft ab. Dieser Entwicklungsprozess ist in der Natur begründet und bedarf so, im Gegensatz zur Abtreibung, keiner Rechtfertigung. Wer also abtreibt, sollte begründen können, warum er abtreibt. Wer nicht abtreibt, braucht keine Begründung.

Rechtslage in Deutschland

Ich möchte an dieser Stelle die Rechtslage der Abtreibung in Deutschland kurz zusammenfassen. In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch für alle Beteiligten nach §218 Strafgesetzbuch grundsätzlich strafbar. Aus juristischer Sicht handelt es sich erst bei einem Abbruch nach der Einnistung des befruchteten Eies um eine Abtreibung. Es gibt aber die Ausnahmen der Beratungsregelung, der medizinischen und kriminologischen Indikation, nach denen der Schwangerschaftsabbruch straffrei ist.(11) Nach der Beratungsregelung muss die Schwangere die Abtreibung wollen, an einer Schwangerschaftskonfliktberatung teilgenommen haben und zwischen dem Abbruch und der Beratung müssen mindestens drei Tage vergangen sein. Weiter dürfen nicht mehr als zwölf Wochen nach der Befruchtung bei einer Abtreibung zurückliegen. Der Schwangerschaftsabbruch muss zudem von einem Arzt durchgeführt werden, der die Schwangere nicht bei der Schwangerschaftskonfliktberatung beraten hat.

Die medizinischen Indikation ist gegeben, wenn nach ärztlicher Erkenntnis eine Gefahr für das Leben oder für eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes der Schwangeren droht, die nicht auf eine zumutbare Weise abgewendet werden kann. Die medizinische Indikation muss dann von einem Arzt ausgestellt werden, der die Abtreibung später nicht durchführt. Bei der medizinischen Indikation ist eine Abtreibung auch nach den zwölf Wochen ab der Befruchtung straffrei.

Die kriminologische Indikation ist gegeben, wenn die Schwangerschaft durch eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung entstanden ist, wie etwa durch eine Vergewaltigung. Bei einer Schwangerschaft, wo das Mädchen ihr vierzehntes Lebensjahr noch nicht vollendet hat, gilt die kriminologische Indikation automatisch. Bei der kriminologischen Indikation gibt es keine Beratungspflicht und auch hier darf bei einer Abtreibung die Befruchtung nicht mehr als zwölf Wochen zurückliegen. Der Arzt, der die kriminologische Indikation ausstellt, darf die Abtreibung nicht durchführen.

2. Methoden der Abtreibung

In diesem Abschnitt möchte ich kurz auf die gängigen Methoden der Abtreibung in Deutschland eingehen. Nach dem Statistischen Bundesamt(12) und der Gesundheitsberichterstattung des Bundes(13) wurden im Jahr 2022 in Deutschland insgesamt 103.927 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt.(14)

Von diesen 103.927 Schwangerschaftsabbrüchen wurden 52.504 durch Vakuumaspiration, 40.176 medikamentös, darunter 36.729 mit Mifegyne beziehungsweise Mifepriston und 3.447 mit sonstigen Arzneimitteln, 10.479 durch Curettage, 767 durch Fetozid und eine durch Hysterotomie beziehungsweise Hysterektomie durchgeführt. Man kann diese Methoden der Abtreibung grob in medikamentös und operativ einteilen.

Die Vakuumaspiration, die auch Absaugung und Saugkürettage genannt wird,(15) ist die häufigste Abtreibungsmethode in Deutschland. Die Vakuumaspiration findet unter Vollnarkose oder örtlicher Betäubung in der Regel ambulant, also nicht in einem Krankenhaus sondern in einer Klinik, Tagesklinik oder Arztpraxis, nach einer Beratung und Voruntersuchung statt. Bei der Vakuumaspiration wird der Muttermund mit Metallstäbchen aufgedehnt und ein schmales Röhrchen in die Gebärmutterhöhle eingeführt. Durch das Röhrchen wird der Embryo und die Gebärmutterschleimhaut abgesaugt. Der gesamte Eingriff dauert etwa zehn bis fünfzehn Minuten. Es kann eine weitere Curettage, Ausschabung, notwendig sein, wenn nach dem Eingriff Reste zurückbleiben, die unbehandelt zu Infektionen führen könnten.(16) Nach der Vakuumaspiration kommt es zu Blutungen, die schwächer als die normale Menstruation sind und bis zu zwei Wochen anhalten können. Eine Nachuntersuchung nach zwei bis drei Wochen sollte beim Gynäkologen abschließend erfolgen.

Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch erfolgt in der Regel durch die Einnahme von zwei Tabletten, zuerst eine mit dem Wirkstoff Mifepriston, Handelsname Mifegyne, und dann 36 bis 48 Stunde später eine mit dem Wirkstoff Prostaglandin.(17) Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch ist bis zum 63. Tag nach Beginn der letzten Monatsblutung möglich. Mifepriston, das nach einer Beratung und einer Voruntersuchung eingenommen wird, hat mehrfache Wirkung: Mifepriston hebt die Wirkung des Gelbkörperhormons Progesteron auf und verhindert so den Fortgang der Schwangerschaft. Weiter löst sich die Gebärmutterschleimhaut und der Fruchtsack mit dem Embryo ab und der Gebärmuttermund öffnet sich und die Gebärmutter zieht sich zusammen. Das später eingenommene Prostaglandin verstärkt die Wirkung von Mifepriston und bewirkt, dass die Gebärmutter sich weiter zusammenzieht und es innerhalb von Stunden zu einer Abbruchblutung kommt, in welcher der Embryo mit der Gebärmutterschleimhaut ausgestoßen wird. Der medikamentöse Abbruch gelingt zu ungefähr 95 Prozent.(18) Wenn eine Schwangerschaft dennoch fortbestehen sollte, wird entweder erneut ein Medikament eingenommen oder durch eine Vakuumaspiration der Embryo entfernt. Eine Nachuntersuchung erfolgt innerhalb von 14 bis 21 Tagen nach dem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch.

Die Curettage ist der operative Schwangerschaftsabbruch durch die Ausschabung der Gebärmutter mit einem stumpfen, löffelartigen Schabinstrument, der sogenannten Curette. Die Curettage ist vom Ablauf mit der Vakuumaspiration vergleichbar, nur dass der Embryo und die Gebärmutterschleimhaut mit der Curette entfernt werden. Die Curettage wird in der Regel ambulant zwischen der 7. und 12. Schwangerschaftswoche durchgeführt.(19) Nach der Curettage kann es zu leichten Blutungen und Schmerzen kommen, die mit der Regelblutung vergleichbar sind.

Der Fetozid ist die gezielte Tötung eines Kindes (oder mehrerer Kinder) im Mutterleib durch Injektion einer Kaliumchloridlösung in die Nabelschnurvene oder direkt in das Herz des Kindes, was zum Herzstillstand führt.(20) Der Fetozid wird meist bei einem Spätabbruch durchgeführt. Von einem Spätabbruch spricht man bei einem Schwangerschaftsabbruch nach der 12. Schwangerschaftswoche, gezählt ab der Empfängnis. Ein Spätabbruch durch Fetozid kann sogar erfolgen, wenn das ungeborene Kind nach der 20. Schwangerschaftswoche bereits außerhalb des Mutterleibes lebensfähig wäre.(21) Der Spätabbruch ist in Deutschland unter gewöhnlichen Umständen verboten und bedarf so einer Ausnahmeregelung durch die medizinische oder kriminologische Indikation, also etwa zum einen bei einer Gefahr für das Leben der Schwangeren, einer Gefahr für eine schwerwiegende Beeinträchtigung ihres seelischen Gesundheitszustandes, worunter in der Praxis auch ein behindertes Kind gezählt werden kann, oder zum anderen bei einer Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch. Auch bei manchen Mehrlingsschwangerschaften wird ein Fetozid durchgeführt, etwa als Reaktion auf eine pränatale Untersuchung oder empfundene Überforderung der Schwangeren oder in Folge von medizinischen Gründen. Bei einem Spätabbruch einer Mehrlingsschwangerschaft durch Fetozid wird das getötete Kind bis zur Geburt in der Gebärmutter zurückgelassen, um nicht das Risiko für eine Fehl- oder Frühgeburt der anderen Kinder bei einer Entfernung einzugehen.(22)

Die Hysterotomie ist ein operativer Eingriff, bei dem die Gebärmutter von der Bauchhöhle aus geöffnet wird, wie etwa bei einem Kaiserschnitt.(23) Bei einer Abtreibung durch Hysterotomie wird das Kind durch die Öffnung direkt getötet und entfernt.

Bei der Hysterektomie, der Gebärmutterentfernung, wird die Gebärmutter ganz oder teilweise operativ entfernt. Wenn eine Frau bei einer Hysterektomie schwanger ist, wird das Kind durch die Hysterektomie abgetrieben. Eine Hysterektomie kann zum Beispiel bei einer Krebserkrankung der Gebärmutter, des Gebärmutterhalses oder der Eierstöcke notwendig sein.(24)

3. Sonderfälle der Abtreibung

In diesem Abschnitt möchte ich kurz auf die Sonderfälle der Abtreibung eingehen, die in Diskussionen über Abtreibung öfters thematisiert werden. Die Sonderfälle der Abtreibung sind Abtreibungen im Zusammenhang mit einer Erkrankung des Kindes, Inzest, sexuellem Missbrauch und einer Lebensgefahr für die Schwangere. Die Sonderfälle Erkrankung, Inzest und sexueller Missbrauch werden von den zwei Argumenten im III. Teil dieser Masterarbeit abgedeckt, womit gerechtfertigt wird, dass Abtreibung in diesen Sonderfällen unmoralisch ist. Ich will daher an dieser Stelle auf diese drei Sonderfälle nur kurz eingehen.

Der Unterschied zwischen einer Abtreibung unter gewöhnlichen Umständen und einer Abtreibung im Sonderfall der Erkrankung des Kindes ist, dass das Kind wegen seiner Erkrankung abgetrieben wird, etwa wenn eine Pränataldiagnostik, also eine vorgeburtliche Untersuchung, eine Fehlbildung, eine Chromosomen-Abweichung oder eine erblich bedingte Erkrankung diagnostiziert.(25) Wer einen sehr jungen Menschen allein aufgrund seiner Erkrankung abtreiben will, nimmt damit die Position ein, dass ein kranker Mensch aufgrund seiner Erkrankung getötet werden darf, was eine höchstproblematische Position ist, besonders offensichtlich, wenn man kranke Menschen nach der Geburt betrachtet. Eine derartige Position ist somit menschenverachtend. Ja, werdende Eltern wünschen sich für gewöhnlich ein gesundes Kind und ja, ein krankes Kind kann eine besondere Herausforderung für die Eltern und sein Umfeld darstellen, es ist aber nicht einzusehen, warum ein krankes Kind aufgrund seiner Erkrankung getötet werden darf.

Der Unterschied bei einer Abtreibung wegen Inzest ist, dass das Kind durch eine sexuelle Beziehung von zwei nahestehenden Blutsverwandten gezeugt wurde, was die Wahrscheinlichkeit an bestimmten erblich bedingten Krankheiten zu erkranken für das gezeugte Kind erhöht.(26) In Deutschland ist Inzest strafbar.(27) Man kann die Sonderfälle der Abtreibung wegen Inzest grob in einvernehmliche und nicht einvernehmliche Fälle einteilen, wobei die nicht einvernehmlichen Fälle Sonderfälle des sexuellen Missbrauchs sind, auf die ich gleich zu sprechen komme. Auch für den Sonderfall der Abtreibung wegen Inzest bedarf es einer Rechtfertigung für den Eingriff in den natürlichen Entwicklungsprozess des Kindes, warum ein Kind mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an erblich bedingten Krankheiten zu erkranken aufgrund dieser Wahrscheinlichkeit getötet werden darf. Auch hier wurde bis jetzt keine genügende Rechtfertigung gegeben.

Der Unterschied bei einer Abtreibung wegen sexuellem Missbrauch ist, dass das Kind durch einen unmoralischen Akt gezeugt wurde, etwa durch Kindesmissbrauch oder Vergewaltigung.(28) Ich gehe im Folgenden kurz exemplarisch auf den Sonderfall der Vergewaltigung einer Frau ein. Bei einer derartigen Vergewaltigung, die zur Schwangerschaft führt, handelt der Vergewaltiger mit Gewalt gegen den Willen der Frau, was körperliches und psychisches Leid verursacht. Eine Argumentation für eine Abtreibung wegen Vergewaltigung kann dann so aussehen: Die Vergewaltigte ist gegen ihren Willen und mit Gewalt schwanger geworden, was in ihr großes Leid verursacht hat. Es ist nun ungerecht ihr neben diesem Leid noch die Lasten einer Schwangerschaft und der Mutterschaft eines ungewollten Kindes aufzubürden, daher ist es gerecht das ungewollte Kind abzutreiben.(29)

Ich will auf diese Argumentation kurz eingehen, indem ich die verschiedenen Optionen der Schwangeren aufzeige.(30) Die Schwangere steht vor der Wahl, ob sie das Kind abtreibt oder nicht abtreibt. Wenn sie sich für eine Abtreibung wegen der Vergewaltigung entscheidet, so handelt sie moralisch falsch, wegen den zwei Argumenten, die ich weiter unten angeben werde, und wegen folgenden drei kurzen Begründungen: Erstens, wenn sie wegen der Vergewaltigung abtreibt, tötet sie (und die dabei Beteiligten) ein unschuldiges Kind, weil die Zeugung des Kindes durch einen unmoralischen Akt des Erzeugers erfolgte. Es ist ungerecht ein unschuldiges Kind für das unmoralische Verhalten seines Erzeugers mit dem Tode zu bestrafen. Der Erzeuger ist für seine Tat zu bestrafen, nicht das Kind. Zweitens, der unmoralische Akt der Zeugung rechtfertigt nicht den weiteren Akt der Tötung des Kindes. Drittens, der Wert des Lebensrechts des Kindes steht in der Hierarchie der Werte über dem Wert der Selbstbestimmung der Schwangeren und ihrem zumutbaren emotionalen Wohlbefinden, da letztere Werte für alle Menschen nur gegeben sein können, wenn der Wert des Lebensrechts gesichert ist.(31)

Wenn die Schwangere sich gegen eine Abtreibung entscheidet und das Kind austrägt, hat sie mindestens zwei oder sogar drei Optionen: Erstens, sie kann das Kind zur Adoption freigeben oder an eine Pflegefamilie abgeben. Zweitens, wenn der Erzeuger beziehungsweise seine Verwandtschaft zustimmt, können diese das Kind aufziehen.(32) Drittens, wenn sie es vermag, nimmt sie das Kind als ihres an. Diese drei Optionen sind besser als die Option der Abtreibung, weil das Kind dann weiterleben kann und die unmoralische Tötung des Kindes verhindert wird.(33)

Hier noch kurz eine direkte Entgegnung auf die obige Argumentation für eine Abtreibung wegen Vergewaltigung: Das verursachte Leid der Schwangeren ist unabhängig von ihrer weiteren Entscheidung für oder gegen eine Abtreibung gegeben. Ja, die Schwangerschaft ist eine zusätzliche Belastung, aber eine Abtreibung kann ebenfalls eine zusätzliche Belastung sein.(34) Von ihrer biologischen Natur her kann die Schwangere die Last tragen. Frauen können sehr stark und widerstandsfähig sein. Von ihrer Psyche her ist eine Schwangere in der Lage ihr Denken und ihre Einstellung unter den gegebenen Umständen anzupassen oder zu ändern, wobei sie bei Problemen professionelle Hilfe oder Hilfe im Kreis der Vertrauten finden kann. Was die Last der Mutterschaft nach der Geburt betrifft, hat sie diese nur zu tragen, wenn sie das auch will, ansonsten hat sie die genannten Optionen, darunter die Option der Freigabe zur Adoption. Wenn sie sich für die Mutterschaft entscheidet, wird sie die schönen und weniger schönen Seiten der Mutterschaft erfahren. All das Genannte ist menschlich tragbar und somit nicht ungerecht, wie die obige Argumentation es versucht nahezulegen. So viel zu diesen drei Sonderfällen der Abtreibung.

Ich komme nun kurz auf einen Sonderfall der Abtreibung zu sprechen, welcher der einzige Fall der Abtreibung ist, in dem Abtreibung moralisch gerechtfertigt ist: Der Sonderfall der Abtreibung bei Lebensgefahr für die Schwangere. Der entscheidende Unterschied bei diesem Fall der Abtreibung ist, dass bei einer derartigen Schwangerschaft das Leben der Schwangeren begründet bedroht ist und es somit nicht nur um das Leben des Kindes, sondern ebenfalls davon abhängig um das Leben der Schwangeren geht.

Randy Alcorn nennt zwei der sehr seltenen Fälle, in denen eine Abtreibung moralisch ist und nötig sein kann, um das Leben der Schwangeren zu retten:(35) Zum einen kann eine Abtreibung nötig sein, wenn eine Schwangere an einem sich schnell ausbreitenden Gebärmutterkrebs erkrankt ist. Zum anderen ist eine Abtreibung bei einer ektopischen Schwangerschaft notwendig, wenn sich also das Kind außerhalb der Gebärmutter entwickelt. Bei beiden Fällen würde es das Leben der Schwangeren und des Kindes kosten, wenn nicht durch eine Abtreibung eingegriffen würde. Durch die Abtreibung kann wenigstens das Leben der Schwangeren gerettet werden.(36) Dieser Zusammenhang rechtfertigt moralisch eine Abtreibung bei einer Lebensgefahr für die Schwangere.

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